Präsident Georges Bräker lauschte gerade dem Vortrag „Zerbricht die Europäische Union?“, als er merkte, dass am Nebentisch in der Heidiland-Stube einige Rotarier mit vorgehaltener Hand über ein ganz anderes Thema miteinander flüsterten.
Er spitzte die Ohren und hörte, wie Mitglied Otto Zwingli gefragt wurde: „Kann jemand, der in einem Reihenhaus wohnt, Rotarier werden?“
Bräker war perplex, auf diese Frage wäre er nie gekommen. In den Wochen darauf hörte er noch genauer hin, offenbar war das Thema rotarisches Wohnen in seinem Club von existenziellem Interesse. Dominiert wurde die Debatte von Otto Zwingli, dem führenden Wohnungsmakler von Redliwil. Welche Wohnform das meiste Prestige hatte, war sehr umstritten. Mitglied Thomas Hürli-mann zum Beispiel war stolz auf sein freistehendes 300 Quadratmeter-Haus in Redliwil-Oberdorf. Doch Zwingli winkte ab: „Oberdorf geht rotarisch nicht, das ist ja eine 2B-Lage.“
Er selbst wohnte in einem Penthouse, das nur 200 Quadratmeter hatte, aber das oberste Stockwerk des Millenium Towers von Redliwil-City zierte. Und so führte er die clubinterne Wohnprestigeliste an. Vor ihm war Friedrich von Planta die Nummer 1 gewesen, weil er im Barockschloss der Familie am Redliwiler See residierte. Doch als ruchbar wurde, dass dort nur zwei Zimmer fließend Wasser und Heizung hatten, reichte man den von Planta nach unten durch.
Das Thema war komplex. Mit einem individuellen Architektenhaus konnte man punkten. Auch denkmalgeschützte Altbauten hatten viele Fürsprecher, andere wollten den Rang an der Zahl der Garagen festmachen. Küchen für über zweihunderttausend Franken machten sich gut, ebenso Schwimmbäder mit Becken ab 50 Meter Länge. Gute Karten hatte, wer mit einem Nebenhaus für die Sicherheitsbeamten aufwartete oder mit einem eigenen Golfplatz.
Otto Zwingli verlor schließlich die Pole Position an einen gleichsam Obdach-losen. Das war Unternehmensberater McGovern, der erklärte: „Ich wohne nur in Hotel-suiten und in meinem Learjet.“
Als er das hörte, nahm Präsident Bräker seinen Freund Otto zur Seite und fragte: Und wie ist das nun mit dem Reihenhaus?“
Dieser dachte lange nach und sagte dann: „Kommt darauf an, ob der Kandidat im Eckstück oder im Mittelteil wohnt“.
Verfasser: Alexander Hoffmann / Erich Gerber