Der Druck wurde immer stärker, vor allem seitens der Gattin – also zeigte sich Präsident Georges Bräker bereit, sich auch einmal als Governor zur Verfügung zu stellen.
Doch vorher wollte er sich erkundigen, was dieses hohe Amt an Herausforde-rungen mit sich bringen würde. Er traf sich mit dem amtierenden District Governor Fritz von Bergen auf einen Schoppen Veltliner im Gasthof Wohlfahrt. Der Governor kam gerne, sah aber angegriffen aus. „Das Amt ist nicht ohne, lieber Freund“, sagte er zur Begrüßung. „Darf ich mit Dir Dutzis machen? Ich fühle mich mit Dir verbunden: Ich bin der Fritz.“
„Was brauche ich denn für dieses Amt?“, fragte Georges.
Der Governor nahm einen tiefen Schluck: „Etwa ab Mitte der Amtszeit brauchst Du neue Anzüge, ich empfehle zwei Nummern größer. Die vielen Essen bei den Meetings, die Distriktskonferenzen, der Governorrat – das bringt einen an den Rand des Fassungsvermögens.“
Bräker nickte: „Macht nichts. Jedenfalls freue ich mich auf die Begegnungen mit den vielen Clubs.“
Von Bergen blickte schmerzlich in sein Glas: „Aber ob die sich auf Dich freuen?“
„Wie meinst Du das?“
„Na, als ich mich beim RC Würzlikon ankündigte, kam eine kühle Mail zurück. Ich dürfe erscheinen, wenn es unbedingt nötig sei. Aber bitte ohne Vortrag.“
Georges Bräker blickte aus dem Fenster, wo am Horizont die blauen Berge in der Abenddämmerung leuchteten. Hinter den blauen Bergen lag ein versteck-tes Seitental des Gotthard-Massivs, das erst 2001 der Eidgenossenschaft beigetreten war. Die Menschen dort rund um die Kantonshauptstadt Würzlikon waren sehr stolz und freiheitsliebend, staatliche Strukturen gab es erst in Ansätzen. Er sagte: „Aber dort gibt es ja noch andere Clubs.“
Von Bergen seufzte: „Und was für welche, die haben alle ihre eigenen Gesetze. Am Schlimmsten war es beim RC Bünzlital in der „Alten Meierei“. Der Club hatte keinen Sekretär, weil sich kein Freund diese Arbeit aufhalsen wollte.“
Bräker war fast sprachlos: „Und wie organisieren sie sich?“
„Den Wochenbericht übernimmt immer der Wirt der Alten Meierei, so gut er eben kann.
Ein anderes Mal war ich vor dem Clubmeeting in der Toilette. Da hörte ich ein Clubmitglied seinen Kollegen beim Pissen fragen: „Was haben wir heute?“ Dieser gab zur Antwort: „Du hast Pech – heute haben wir den Governor-besuch!“
Langsam überkamen Bräker Zweifel am Schritt zum DG. Er fragte: „Hast Du sonst noch Tipps für mich?“
Von Bergen lächelte: „Sei vorsichtig bei Auftritten in der Öffentlichkeit. Letzthin stand ich am Eingang eines Fünf-Sterne-Hotels und wartete auf die Präsidentin des dortigen Clubs. Ich trug meine schwarze Governorjacke mit dem Slogan „MANKIND IS OUR BUSINESS“, als ein ankommender Gast auf mich zutrat.“
„Ist doch schön, wenn man auf Interesse stößt.“
„Ja, aber der Gast forderte mich auf: „Tragen Sie bitte meine Koffer aufs Zimmer hinauf!“
Es wurde noch ein netter Abend mit Governor von Bergen, doch tags darauf verkündete Georges Bräker seiner Frau, er verzichte auf die Bewerbung als Governor. Die Gattin reagierte anders als erwartet: „Kein Problem. Lassen wir diesen Zwischenschritt, versuch es doch gleich als Weltpräsident von Rotary International!“
Verfasser: Erich Gerber