Rotarierin setzt sich in Griechenland für Frauen auf der Flucht ein

dimanche 4 décembre 2022

von Janine Keller

Rotarierinnen und Rotarier setzen sich bekanntermassen mit ihren Rotary Clubs für andere Menschen, die Umwelt und den Frieden ein. Einzelne Mitglieder engagieren sich zudem mit eigenen Hilfsprojekten. Raquel Herzog, Mitglied im Rotary Club Üetliberg, ist einer dieser Menschen. Im Interview erzählt sie uns von ihrer Organisation und ihrer persönlichen Motivation, eine der verletzlichsten Gruppen von Menschen zu unterstützen.

Raquel Herzog, Sie haben vor sieben Jahren die SAO Association gegründet, was macht die Organisation?

SAO führt zwei auf Trauma spezialisierte Tageszentren in Griechenland, eines auf Lesbos und das andere in Athen, mit psychosozialer Betreuung für besonders verletzliche Frauen auf der Flucht. Es handelt sich bei unseren Klientinnen meistens um Frauen, die allein auf der Flucht sind und Opfer von Folter, Menschenhandel, Verstümmelung, systematischer Gruppenvergewaltigung und sexueller Gewalt als Kriegswaffe, aber auch Frauen, die in einem Krieg verletzt wurden. Einige dieser Frauen wurden zusätzlich traumatisiert, dadurch dass sie beispielsweise auf der Flucht ein Kind verloren (z.B. durch Ertrinken) oder sexuelle Gewalt erlebt haben.

Die psychosoziale Betreuung in unseren Tageszentren beinhaltet psychologische Beratung und Unterstützung im administrativen Bereich durch eine Sozialarbeiterin. Meistens nutzen die Frauen unsere Tageszentren erst einmal als einen sogenannten Safe Space, wo sie sich einfach einmal sicher fühlen und erholen können. Über die Zeit entstehen eine Verbindung und Vertrauen zu uns und sie beginnen, über ihre Erfahrungen zu sprechen und unsere Dienste in Anspruch zu nehmen.

Im Bashira Centre auf Lesbos können die Frauen auch an verschiedenen Workshops teilnehmen.

Grieschischunterricht im Amina Centre in Athen während der Pandemie.

Was war Ihre persönliche Motivation, dieses Projekt zu starten?

Als das Bild des ertrunkenen Aylan Kurdi durch die Medien ging, war ich geschockt. Ich entschied, etwas zu unternehmen, auch wenn ich noch nicht recht wusste, was. Am Abend desselben Tags kaufte ich ein Flugticket nach Lesbos, wo ich nach meiner Ankunft während sechs Monaten als Freiwillige in der Seenotrettung arbeitete. Ziemlich bald habe ich dann die SAO Association gegründet, weil man nicht mehr als unabhängige Freiwillige helfen durfte und mich keine der bereits bestehenden Organisationen vollständig überzeugte.

Die SAO Association unterstützt hauptsächlich Frauen, wie kam es dazu?

Am Internationalen Frauentag im März 2016 wurde uns von einem Boot, das in Seenot geraten war, berichtet. Während Stunden haben wir abgelegene Strände abgesucht bis wir schliesslich auf die Gruppe trafen, die bereits an Land war und Hilfe benötigte, um ins Flüchtlingslager zu gelangen. Das älteste Mitglied der Gruppe war eine 93-jährige Grossmutter. Mit deren 23-jährigen Enkelin, Ruha, entstand eine besondere Verbindung und ich liess die Familie, bestehend aus der Grossmutter, drei Enkelinnen und deren Cousine, für eine Weile bei mir wohnen, da man sie trennen wollte. Das war der Moment, in dem ich beschloss, etwas für Frauen auf der Flucht zu tun und wir als Organisation als erstes das Bashira Centre auf Lesbos eröffneten.

Weshalb zählen Frauen zu den am meisten gefährdeten und verletzlichen Flüchtenden?

Frauen sind zusätzlichen Gefahren wie sexueller Gewalt ausgesetzt, vor allem, wenn sie ohne männliche Begleitung unterwegs sind. Hinzu kommt, dass sie auch im Flüchtlingslager nicht vor Übergriffen geschützt sind und dass es beispielsweise keine geschlechtergetrennten sanitären Anlagen gibt. Das ist je nach kulturellem Hintergrund für einige Frauen eine sehr schwierige Situation. In solchen Camps ist es zudem selten ruhig und es gibt oft Auseinandersetzungen. Einige unserer Klientinnen nutzen unsere Tageszentren deshalb auch, um einfach einmal Schlaf nachzuholen und sich sicher zu fühlen.

Wenn die Flüchtenden in Griechenland ankommen, was für ein Schicksal erwartet sie da?

Wenn Sie die Überfahrt nach Griechenland überleben, kommen sie in Flüchtlingscamps unter, in denen sie auf ihren Asylbescheid warten müssen, bis sie aufs Festland weiterziehen dürfen. Sobald sie Asyl erhalten haben, bekommen sie noch für einen Monat 150 Euro, Essen und Unterkunft im Camp. Das Problem ist, dass sie die Inseln nicht verlassen dürfen, bevor sie alle entsprechenden Papiere erhalten haben, was Monate dauern kann. Wenn sie dann aufs Festland kommen, sind sie oft der Obdachlosigkeit ausgesetzt und es wartet ein mühsamer bürokratischer Prozess auf sie, um alle nötigen Papiere zu bekommen, die ihnen erlauben, einer Arbeit nachzugehen. Aus diesem Grund haben wir auch das zweite Tageszentrum in Athen eröffnet, das die Frauen in diesem Prozess unterstützt.  Wir haben es nach der 93-jährigen Grossmutter «Amina» benannt.   

Von der SAO Association gibt es ein Programm mit dem Namen «Back on Track». Was ist das Ziel des Programms?

Wir stellten fest, dass viele Frauen in ihrem Land ein Studium angefangen hatten, welches sie aufgrund der Flucht unterbrechen mussten. Deshalb haben wir dieses Programm gestartet, anfangs mit einem akademischen Fokus. Mittlerweile werden akademische Aus- und Weiterbildungen für Flüchtlinge in Europa von vielen anderen Organisationen subventioniert, weshalb sich unser Schwerpunkt auf die Berufsbildung von Frauen in Griechenland verlagert hat. Jetzt bereiten wir die Frauen mehrheitlich auf die berufliche Integration vor, beispielsweise mit Computer- oder Sprachkursen.

Was hat sie in den vergangenen sieben Jahren motiviert, stets weiterzumachen und nie aufzugeben?

Erst wollte ich einfach auf eine Notsituation reagieren, weil ich wusste, dass ich Trouble-shooting-Qualitäten habe und mir das zutraute – ganz nach dem Motto: Machen ist wie wollen, nur krasser. Danach bin ich reingewachsen, ein bisschen, wie wenn man mit dem Schuh in sumpfiges Gelände steht und man immer weiter reingezogen wird. Mir wurde auch das Ausmass der Tragödie deutlich bewusst: Mittlerweile sind über 100 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht . Ausserdem hatte ich das «Glück», diese Nische zu finden, die allein flüchtende Frauen betrifft. Ich sage bewusst «Glück», weil es hilft, wenn man in so einem weltumspannenden Problem ganz spezifisch und punktuell etwas bewirken kann – ansonsten wäre man komplett überfordert.

Zwei Flüchtlingsfrauen im Hof des Bashira Centres auf Lesbos.

Können Sie uns ein Beispiel einer Erfolgsgeschichte der SAO Association geben?

Da wir uns an internationale «Protection rules» halten, machen wir keine Fotos unserer Klientinnen und veröffentlichen ihre Geschichten nicht. Dies, um sicherzustellen, dass verfolgte Frauen nicht aufgespürt werden und wir keine Retraumatisierungen auslösen. Eine Erfolgsgeschichte, die von Hamdi, darf aber erzählt werden, da sie sich in Sicherheit befindet. Hamdis Geschichte mit der SAO Association beginnt als Bombenopfer ohne Beine, von der Familie ausgestossen und von Schleppern eines Tages auf Lesbos ausgespuckt, und endet mit neuen Prothesen, die sie vom Universitätsspital Balgrist in Zürich erhielt. Diese Geschichte haben wir verfilmt und sie kann hier angeschaut werden.

Raquel Herzog, Bild: Iris Krebs

So können Sie die SAO Association unterstützen

Die SAO Association ist auf Spenden angewiesen. Insbesondere neue Vereinsmitglieder sind herzlich willkommen. Mit einer Mitgliedschaft unterstützen Sie die SAO Association mit 150 Franken pro Jahr. Es ist das einzige kalkulierbare Einkommen, dass die Organisation hat. Zudem gibt es die Möglichkeit, die Organisation mit einem Volontariat zu unterstützen.

Die SAO Association hat auch einen Webshop mit zum Beispiel Bio-Olivenöl aus Lesbos und von den Frauen hergestellten Spielzeugen. Der gesamte Erlös aus dem Verkauf der Produkt fliesst in die Projekte der SAO Association. Das wären doch tolle Weihnachtsgeschenke? Hier geht's zum Webshop.

Zur Person

Raquel Herzog ist seit 2010 Mitglied beim Rotary Club Üetliberg und Paul Harris Fellow. Vor sieben Jahren gründete sie die SAO Association und leitet seither ehrenamtlich das operative Geschäft und das Fundraising.