RC Redliwil - Das präsidiale Piercing

Samstag, 20. Januar 2024

Rot. Alexander Hoffmann

Lange vor dem Amtswechsel bat Präsident Bräker seinen designierten Nachfolger Roger Winkelried für ein privates Gespräch zu sich nachhause. Dabei weihte er ihn in die Finessen der Clubführung ein, in die vielen ungeschriebenen Gesetze, nach denen der RC Redliwil funktionierte. Insgeheim überfiel ihn eine gewisse Wehmut, denn er hing an seinem Amt.

Sie sassen im Arbeitszimmer Bräkers, neben dem Schreibtisch stand eine mannshohe Schneiderpuppe, angetan mit einem Jackett. «Das ist Theodor», meinte Bräker auf einen fragenden Blick Winkelrieds hin. «Aber kommen wir zum wichtigsten Punkt, er wird entscheiden, ob Sie als grosser Präsident in die Clubgeschichte eingehen. Wie ist Ihre Feinmotorik?»

«Meine was?»

«Ich meine Ihre Technik beim präsidialen Piercing, beim Anstecken der rotarischen Nadel für neue Mitglieder. Spielen Sie Klavier, reparieren Sie Ihre Uhr selbst?»

«Leider Nein. Ich bin eher der zupackende Typ. Als Student habe ich auf dem Bau Backsteine geschleppt, heute entspanne ich mich beim Holzhacken in meinem Garten», erwiderte Winkelried.

«Nun denn», meinte Bräker und ging mit ihm zu Theodor. Er reichte ihm eine Nadel: «So, jetzt piercen Sie bitte mal zur Probe. Denken Sie daran, das ist ein hoheitlicher Akt, der Ihnen alles abverlangt. Die Nadel muss in fliessender Bewegung mit Würde und Eleganz angesteckt werden, ohne peinliche Fummelei. Und Sie müssen hochpräzise und zielgenau sein, denn die neuen Rotarierinnen und Rotarier sollen die Zeremonie ja überleben.»

Winkelried packte die Nadel und fixierte die Puppe. Er senkte den Kopf wie ein Stier, nahm Anlauf und rammte die Nadel mit seiner schaufelgroßen Hand tief ins Revers des Jacketts und in das Styropor der Puppe. Theodor fiel um. «So geht es leider nicht», kommentierte Bräker.

Beim zweiten Versuch blieb die Nadel quer im Jackett stecken, beim dritten Mal zerbrach sie in zwei Stücke.

Und das war das Ende der Ära Winkelried, noch ehe sie begonnen hatte. Zum allgemeinen Kummer im RC Redliwil verzichtete er auf die Präsidentschaft, und Bräker wurde gebeten, noch ein Jahr dranzuhängen.

Bräker erfuhr davon in seinem Arbeitszimmer. Er zwinkerte Theodor zu: «Gut gemacht!»

Symboldbild. Bild: The Lazy Artist via pexels.com